Deutsche Gesellschaft für Soziologie




Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie e. V. (DGS) ist eine wissenschaftliche Vereinigung zur Förderung der soziologischen Forschung und Lehre. Der gemeinnützige Verein hat sich zum Ziel gesetzt, „sozialwissenschaftliche Probleme zu erörtern, die wissenschaftliche Kommunikation der Mitglieder zu fördern und an der Verbreitung und Vertiefung soziologischer Kenntnisse mitzuwirken“.




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Geschichte


  • 2 Soziologentage / Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Soziologie


  • 3 Heutige Tätigkeiten


  • 4 Zeitschrift


  • 5 Präsidenten und Vorsitzende


  • 6 Kongresse der DGS


  • 7 Siehe auch


  • 8 Weblinks


  • 9 Einzelnachweise





Geschichte |


Der Verein wurde am 30. Januar 1909 von einer Gruppe von 39 Wissenschaftlern in Berlin gegründet, von denen keiner hauptberuflich „Soziologe“ war.[1] Sie ist die zweitälteste soziologische Gesellschaft ihrer Art auf der Welt. Als ihre Initiatoren sind Rudolf Goldscheid (1870–1931) und Georg Simmel zu nennen. Max Weber, der sich nach anfänglicher Skepsis in der Mitgliederwerbung engagiert hat, war schon zum 1. Januar 1911 wegen des Streits über das Wertfreiheitspostulat wieder aus dem Vorstand der Gesellschaft ausgeschieden.[2]


Als erster Präsident wurde Ferdinand Tönnies (1855–1936) gewählt. Er wurde 1933 wegen seiner Opposition zum NS-Regime genötigt, dieses Amt niederzulegen. Damals war ein Teil der DGS-Mitglieder schon aus Deutschland emigriert oder geflüchtet.


Sein Nachfolger, Hans Freyer, stellte 1934 alle Aktivitäten der DGS ein. In der Folge blieb sie bis 1946 inoperativ. Über den genauen Hergang, die Rolle und eventuelle Aktivität der DGS während der Zeit des Nationalsozialismus besteht unter den Soziologen keine Einigkeit; Dokumente aus dieser Zeit verbrannten während des Krieges.[3]





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Nach 1946 wurde die DGS wieder gegründet; Leopold von Wiese wurde ihr erster Präsident. Als Hanna Meuter 1948 darauf hinwies, dass von den ehemals 150 Mitgliedern der Gesellschaft über die Hälfte, nicht unbeeinflusst durch die Vernichtungsverfahren der Zeit, heute nicht mehr unter uns sind, war das für diese Zeit selten.[4]


Von Wieses Nachfolger wurde Helmuth Plessner. Bis zum Berliner Soziologentag zum 50. Jahrestag der DGS 1959 formierten sich die drei großen Schulen der Soziologie der Nachkriegszeit: (1) die Kölner Schule von René König, (2) die von der Leipziger Schule beeinflusste Richtung, die vor allem mit Helmut Schelsky in Münster in Verbindung gebracht wird, und (3) die Frankfurter Schule um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno.


Bis in die 1990er Jahre befasste sich die DGS schwerpunktmäßig mit der Ausarbeitung eines Lehrkanons der Soziologie und dem Entwurf von Richtlinien für die Ausstattung von Studiengängen an den Universitäten. Die Deutsche Wiedervereinigung stellte ebenfalls eine Herausforderung für die Soziologen-Gesellschaft dar, nachdem sich kurz vor der Wende eine Deutsche Gesellschaft für Soziologie Ostdeutschland gegründet hatte, die sich dann 1992 wieder auflöste. Ergebnis von Verhandlungen mit der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Ostdeutschland und dem Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS) war 1992 die Formulierung eines gemeinsamen „Ethikkodexes“ für Soziologen. Der Ethikkodex legte Normen für das Verhalten von lehrenden und forschenden Wissenschaftlern fest und wurde in einer gemeinsamen Ethikkommission der Verbände exekutiert.



Soziologentage / Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Soziologie |




Eröffnungsveranstaltung des 38. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, September 2016 in Bamberg


Die ab den 1960er-Jahren folgenden Soziologentage der DGS wurden zum Ort der Auseinandersetzung zwischen der Kritischen Theorie und dem Kritischen Rationalismus im sog. Positivismusstreit, ohne dass sich eine Lösung abzeichnete.


Neuen Stoff für Auseinandersetzungen lieferte die 68er Studentenbewegung. Diesmal verlief die Front zwischen Herbert Marcuse und Theodor W. Adorno auf der einen und Ralf Dahrendorf, dem damaligen Vorsitzenden der DGS, auf der anderen Seite. Der Vorstand der DGS sah die Einheit der Gesellschaft gefährdet und sah sich von der Außerparlamentarischen Opposition (APO) mit ihren marxistischen Theorieansätzen bedroht. Es kam zu einer Unterbrechung von sechs Jahren, bevor ein neuer Soziologentag einberufen wurde. Die Ziele und die Struktur der DGS wurden neu definiert und eine Veränderung weg von einer Gelehrtengesellschaft hin zu einer breiteren Basis eingeleitet, indem die Mitgliedschaft nicht mehr nur auf Professoren beschränkt, sondern auch auf Promovierte ausgeweitet wurde.


Mitte der 1990er Jahre wurde die seit 1909 geführte Bezeichnung Deutscher Soziologentag auf Wunsch der erstarkenden Sektion „Frauenforschung“ in die geschlechtsneutrale Bezeichnung Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie geändert.


In den 1990er Jahren fanden zwei Soziologiekongresse erstmals in ostdeutschen Städten (Halle und Dresden) statt und die DGS richtete mit der Universität Bielefeld 1994 den von der International Sociological Association (ISA) einberufenen Weltkongress der Soziologie aus, der 4000 Soziologen nach Bielefeld führte. Weiterhin wurde die schon zu Beginn der DGS bestehende Zusammenarbeit mit Soziologen aus Österreich und der Schweiz neu belebt. So wurde der Soziologiekongress 1998 in Freiburg als gemeinsamer deutscher, schweizerischer und österreichischer Kongress durchgeführt – passend zum damaligen Kongressthema „Grenzenlose Gesellschaft“.


Seit 2007 fördert die DGS auch studentische Soziologiekongresse, die alle zwei Jahre stattfinden.[5][6]



Heutige Tätigkeiten |


Die DGS hat sich über ein Jahrhundert von einer exklusiven Gelehrtengemeinschaft zu einer breiten Vereinigung von soziologisch arbeitenden Wissenschaftlern mit rund 3000 Mitgliedern gewandelt.[7] Sie umfasst zahlreiche Sektionen und Arbeitsgruppen zu verschiedenen soziologischen Fragestellungen und Theorieansätzen, die je eigene Arbeitstagungen abhalten. Auch die qualitative Sozialforschung, um deren Grundthesen vor 50 Jahren heftige Debatten geführt wurden, erhielt eine eigene Sektion. Die Soziologiekongresse sind Großveranstaltungen mit über 3000 Teilnehmern erfüllt.


Mitte des Jahres 2012 rief die DGS ihre Mitglieder, aufgrund „gravierende[r] methodische[r] Schwächen und empirische[r] Lücken“, zum Boykott des CHE Hochschulrankings auf.[8] Aufgrund „ausbleibender überzeugender Verbesserungen seitens des CHE“[9] kooperierte die DGS mit dem Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, um gemeinsam eine alternative Informationsquelle für Studieninteressierte beider Fächer zu bieten. Die Fachverbände initiierten 2014 das gemeinsame Studieninformationsportal „studium.org“, an dem sich auch die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft und Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft beteiligen.



Zeitschrift |


Als „Forum der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ gibt die DGS die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift Soziologie heraus.



Präsidenten und Vorsitzende |



  • Präsidenten[10]

    • 1909–1933 Ferdinand Tönnies

    • 1933 Werner Sombart (?); und/oder Hans Freyer[11][12]

    • 1933–1946 Hans Freyer – ab 1934 ließ er die DGS „ruhen“



  • Vorsitzende

    • 1946–1955 Leopold von Wiese

    • 1955–1959 Helmuth Plessner

    • 1959–1963 Otto Stammer

    • 1963–1967 Theodor W. Adorno

    • 1967–1970 Ralf Dahrendorf – Rücktritt wegen der Übernahme eines politischen Amtes

    • 1970 Erwin Scheuch

    • 1971–1974 M. Rainer Lepsius

    • 1974–1978 Karl Martin Bolte

    • 1979–1982 Joachim Matthes

    • 1983–1986 Burkart Lutz

    • 1987–1990 Wolfgang Zapf

    • 1991–1992 Bernhard Schäfers

    • 1993–1994 Lars Clausen

    • 1995–1998 Stefan Hradil

    • 1999–2002 Jutta Allmendinger

    • 2003–2006 Karl-Siegbert Rehberg

    • 2007–2011 Hans-Georg Soeffner

    • 2011–2013 Martina Löw

    • 2013–2017 Stephan Lessenich

    • seit 2017 Nicole Burzan





Kongresse der DGS |



  • 2018: Göttingen – Komplexe Dynamiken globaler und lokaler Entwicklungen[13]

  • 2016: Bamberg − Geschlossene Gesellschaften.

  • 2014: Trier − Routinen der Krise − Krise der Routinen[14]

  • 2012: Bochum/Dortmund – Vielfalt und Zusammenhalt.

  • 2010: Frankfurt am Main – Transnationale Vergesellschaftungen.

  • 2008: Jena – Unsichere Zeiten. Herausforderungen gesellschaftlicher Transformationen.

  • 2006: Kassel – Die Natur der Gesellschaft.

  • 2004: München – Soziale Ungleichheit – Kulturelle Unterschiede.

  • 2002: Leipzig – Entstaatlichung und soziale Sicherheit.

  • 2000: Köln – Gute Gesellschaft? Zur Konstruktion sozialer Ordnungen.

  • 1998: Freiburg im Breisgau – Grenzenlose Gesellschaft?

  • 1996: Dresden – Differenz und Integration.

  • 1994: Halle (Saale) – Gesellschaften im Umbruch.

  • 1992: Düsseldorf – Lebensverhältnisse und soziale Konflikte im neuen Europa.

  • 1990: Frankfurt am Main – Die Modernisierung moderner Gesellschaften.

  • 1988: Zürich – Kultur und Gesellschaft.

  • 1986: Hamburg – Technik und sozialer Wandel.

  • 1984: Dortmund – Soziologie und gesellschaftliche Entwicklung.

  • 1982: Bamberg – Krise der Arbeitsgesellschaft.

  • 1980: Bremen – Lebenswelt und soziale Probleme.

  • 1979: Berlin – Sozialer Wandel in Westeuropa.

  • 1976: Bielefeld – Materialien aus der soziologischen Forschung.

  • 1974: Kassel – Zwischenbilanz der Soziologie.

  • 1968: Frankfurt am Main – Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?

  • 1964: Heidelberg – Max Weber und die Soziologie heute.

  • 1959: Berlin – Die Soziologie in der modernen Gesellschaft.

  • 1956: Bad Meinberg – Tradition.

  • 1954: Heidelberg – Zum Ideologieproblem/Die freien Berufe.

  • 1952: Weinheim – Die Berufswahl – Zellen und Cliquen.

  • 1950: Detmold – Heimat und Fremde – Bürokratisierung.

  • 1948: Worms – Jugend – Terror.

  • 1946: Frankfurt am Main – Die gegenwärtige Situation, soziologisch betrachtet.

  • 1930: Berlin – Die Presse und die öffentliche Meinung.

  • 1928: Zürich – Konkurrenz – Wanderungen.[15]

  • 1926: Wien – Demokratie – Naturrecht.

  • 1924: Heidelberg – Soziologie und Sozialpolitik – Wissenschaft und soziale Struktur.

  • 1922: Jena – Das Wesen der Revolution.

  • 1913: Berlin – Nation und Nationalität.[16]

  • 1910: Frankfurt am Main – Wege und Ziele der Soziologie (Erster deutscher Soziologentag).


Ferner wurden folgende studentische Soziologiekongresse von der DGS gefördert:



  • 2015: Tübingen – Denken (über-)denken

  • 2013: Bamberg – Krisen Prozesse Potentiale.

  • 2011: Berlin – Komplexe Neue Welt.

  • 2009: München – Theorie und Praxis.

  • 2007: Halle − Perspektiven der Soziologie.



Siehe auch |



  • Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen

  • Österreichische Gesellschaft für Soziologie

  • Schweizerische Gesellschaft für Soziologie

  • International Sociological Association

  • Internationales Institut für Soziologie



Weblinks |


  • Offizielle Website


Einzelnachweise |




  1. Vgl. Otthein Rammstedt, Die Frage der Wertfreiheit und die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. In: Lars Clausen, Carsten Schlüter[-Knauer] (Hgg.): Hundert Jahre „Gemeinschaft und Gesellschaft“. Leske + Budrich, Opladen 1991, S. 549–560.


  2. Vgl. M. Rainer Lepsius: Max Weber und die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. In: Soziologie, 40. Jg., Heft 1, S. 7–19.


  3. Ein ziemlich vollständiger Korpus von Akten von 1909 bis 1933 liegt im Nachlass von Ferdinand Tönnies in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek in Kiel.


  4. Theresa Wobbe: Dr. Hanna Meuter (1889–1964): Soziologin, Publizistin und Zeitgenossin. In: Landrat des Kreises Viersen (Hrsg.): Heimatbuch des Kreises Viersen, 47. Jg., 1996, S. 13–17 (ergänzte Fassung o. D. [2003]).


  5. Website zum 1. Studentischen Soziologiekongress an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Memento des Originals vom 27. August 2011 im Internet Archive) i Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.soziologie.uni-halle.de


  6. Website zum 2. Studentischen Soziologiekongress an der Ludwig-Maximilians-Universität München


  7. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS). In: soziologie.de. Abgerufen am 27. Februar 2017. 


  8. Soziologen wollen nicht mehr: CHE-Ranking unter Beschuss. In: studis-online.de. 5. Juli 2012, abgerufen am 17. Mai 2018. 


  9. Studieninformationen vom Fachverband – www.studium.org. In: soziologie.de. 20. August 2014, abgerufen am 17. Mai 2018. 


  10. Eine aktuelle Auflistung der Präsidenten und Vorsitzenden der DGS findet sich in: Wolfgang Glatzer: Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS). Abgerufen am 17. Juni 2011.


  11. Klingemann: Auf einer außerordentlichen DGS-Ratsversammlung am 3. August 1933 in Lübeck wurde Regime-Kritiker Tönnies überredet, sein Amt als Präsident niederzulegen. Neuer Präsident wurde Sombart, der gemeinsam mit dem 1. Schriftführer Leopold von Wiese und Beisitzer Hans Freyer die DGS als sogenanntes „Drei-Männer-Gremium“ leitete. Am 18. September 1933 in Berlin beschloss diese Gruppe, Tönnies, der nachträglich gegen seine politisch motivierte und satzungswidrige Entmachtung protestiert hatte, zu kooptieren. Im „Vier-Männer-Gremium“, wurde Tönnies als Präsident bezeichnet, Sombart als präsumtiver Präsident; Carsten Klingemann: Soziologie im Dritten Reich. Nomos, Baden-Baden 1996, ISBN 3-7890-4298-6. S. 17 ff. Diese Darstellung Klingemanns steht in völligem Gegensatz zu der Eigendarstellung der DGS im Dezember 2015 auf ihrer Webseite DGS; demnach spielte jedenfalls Tönnies überhaupt keine Rolle mehr. Die Schwierigkeit, die Geschichte der DGS 1933–1945 überhaupt darzustellen, wegen der entweder zu subjektiven oder bewusst lügenhaften Darstellung von Beteiligten, wird dort deutlich dargestellt


  12. Silke van Dyk und Alexandra Schauer: »… daß die offizielle Soziologie versagt hat«. Zur Soziologie im Nationalsozialismus, der Geschichte ihrer Aufarbeitung und der Rolle der DGS. 2. Auflage. Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-06636-9, S. 49 ff.


  13. Themenskizze auf soziologie.de, abgerufen am 6. September 2017


  14. Webseite des 37. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie [1]


  15. Verhandlungen des Sechsten Deutschen Soziologentages vom 17. bis 19. September 1928 in Zürich, Tübingen: Mohr 1929


  16. Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologentages vom 20.-22. Oktober 1913 in Berlin, Tübingen: Mohr 1913









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