Okkupation








Bei einer Okkupation oder Besetzung (je nach Kontext auch Besatzung; von lateinisch occupare ‚besetzen‘) wird in einem bevölkerten Gebiet die vorhandene Staatsgewalt durch einen externen Machthaber auf dessen Initiative durch die seinige ersetzt. Dies geschieht meist mit militärischen Mitteln. Daneben wird im Völkerrecht auch die Besetzung eines herrschaftslosen Gebietes durch eine Staatsmacht als Okkupation bezeichnet.


In jüngerer Zeit zeichnet sich eine Besetzung auch dadurch aus, dass die Okkupationsmacht völkerrechtlich nicht zur legalen Exekutive wird. Im Gegensatz zur Annexion wird das fremde Territorium jedoch nicht dem eigenen Staatsgebiet staats- und völkerrechtlich einverleibt. Nach Unabhängigkeit strebende Bevölkerungsgruppen bezeichnen häufig den Staat, der ihr Territorium beherrscht, als Besatzungsmacht, auch wenn es sich dabei um keine Okkupation im juristischen Sinne handelt. Okkupanten sind analog dazu einzelne Vertreter der Besatzungsmacht oder ihre im Lande anwesende Gesamtheit.


Bei der Okkupation wird zwischen friedlicher (occupatio pacifica) und kriegerischer Besetzung (occupatio bellica) unterschieden.




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Völkerrecht


    • 1.1 Friedliche Okkupation


    • 1.2 Kriegerische Okkupation




  • 2 Beispiele militärischer Besetzungen


    • 2.1 Historische Besetzungen


    • 2.2 Gegenwärtige Besetzungen




  • 3 Siehe auch


  • 4 Weblinks


  • 5 Anmerkungen





Völkerrecht |



Friedliche Okkupation |


Die (friedliche) Okkupation ist nach dem Völkerrecht die legale Inbesitznahme eines Territoriums, das zuvor nicht zum eigenen Staatsgebiet der aneignenden Macht gehörte. Voraussetzung ist der erklärte Wille zur Aneignung und die effektive Ausübung der Herrschaft über das Gebiet. Zudem muss dieses Gebiet entweder bislang unbekannt gewesen sein oder von seinem Souverän aufgegeben (Dereliktion).[1]


Die friedliche Okkupation spielte während der europäischen Expansion eine zentrale Rolle. Im 15. und 16. Jahrhundert wurde der Erwerb außereuropäischer Gebiete zunächst mit dem Missionsauftrag Jesu Christi und der päpstlichen Autorität begründet, wie zum Beispiel in der Papstbulle Inter caetera von 1493 oder im Vertrag von Tordesillas (1494). Seit dem 17. Jahrhundert trat demgegenüber die Theorie der terra nullius in den Vordergrund, des herrenloses Gebietes. Dieses durfte man, wie Johann Jacob Moser 1778 formulierte, jeder europäische Souverän seiner Herrschaft unterwerfen, sofern er seine Staatsgewalt dort auch realiter durchsetzen konnte. Dies Gebiet durfte ihm dann von keiner anderen europäischen Macht strittig gemacht werden. Dies stand im Widerspruch zur gängigen Praxis des Kolonialismus, wonach die Inbesitznahme außereuropäischer Gebiete zumeist auf dem Wege über Verträge mit einheimischen Herrschern erfolgte. Da das bloße Vorhandensein außereuropäischer Herrscher die Rechtsfigur der terra nullius Lügen strafte, entwickelte man eine Theorie abgestufter Souveränität, nach der die europäischen Staaten Souveränität im vollen Wortsinne ausübten, außereuropäische Potentaten nur eingeschränkt und Nomaden jeglicher Staatlichkeit entbehrten. Noch 1884 wurde die Rechtsfiktion der terra nullius der Kongoakte zugrundegelegt, mit der die Kolonialisierung großer Teile Afrikas durch die europäischen Mächte geregelt wurde. Ebenso lag sie der europäischen Besiedlung Australiens und dem Apartheid-Regime in Südafrika zugrunde.[2]



Kriegerische Okkupation |


Die Haager Landkriegsordnung von 1907, ein früher Bestandteil des Kriegsvölkerrechts, begrenzt die Gewaltausübung bei der Besetzung eines feindlichen Territoriums, auch als occupatio bellica bezeichnet.


Das dadurch entstehende Rechtsregime zielt auf den Ausgleich zwischen drei sich potenziell widersprechenden Interessen: den Sicherheitsinteressen der Besatzungsmacht, den Souveränitätsinteressen des Staates, dem das besetzte Gebiet weiterhin zugehörig ist, und den Interessen von dessen Bevölkerung. Diese darf zum Gehorsam gegenüber der Besatzungsmacht genötigt werden, auch wenn de jure eine Gehorsamspflicht nicht besteht. Propaganda für den Eintritt in die eigenen Streitkräfte ist unzulässig. Durch die Besetzung ist die Besatzungsmacht für die Wohlfahrt der ansässigen Bevölkerung verantwortlich und muss sie vor Gewalthandlungen, namentlich Plünderungen schützen. Desgleichen muss sie die hinreichende Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischen Leistungen sowie die Instandhaltung notwendiger Elemente der Infrastruktur gewährleisten. Sie hat die Rechtsordnung des besetzten Gebietes grundsätzlich unangetastet zu lassen, sofern diese nicht menschenrechtswidrig ist. Deportationen und Bevölkerungstransfers sind verboten. Diese Schutzverpflichtungen dürfen nicht durch eine Annexion des besetzten Gebiets umgangen werden. Sie sind verbindlich von dem Moment an, wo die eigenen Streitkräfte de facto eine gewisse Kontrolle über das in Frage stehende Gebiet haben, und enden mit dessen Verlust.[3]



Beispiele militärischer Besetzungen |



Historische Besetzungen |




  • Österreichisch-Ungarische Besetzung Bosniens und Herzegowinas im Okkupationsfeldzug 1878 (1908 annektiert)[4]

  • Besetzung des Nordens Frankreichs bis zur Creuse durch deutsche Truppen während und nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870–1873). Der Friede von Frankfurt vom 10. Mai 1871 sah vor, dass die Départements Oise, Seine-et-Oise, Seine-et-Marne und Seine sowie der Befestigungen von Paris besetzt bleiben sollten, bis die Zahlung der Frankreich auferlegten Reparationen gewährleistet war.[5]

  • Besetzung Nicaraguas durch US-amerikanische Streitkräfte (1912–1925) im Rahmen der Bananenkriege[6]

  • Besetzung Belgiens, Litauens, Lettlands, Weißrusslands und Polens durch die Streitkräfte des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg (1914 bis 1918)


  • Alliierte Rheinlandbesetzung durch belgische, britische und französische Truppen (1918–1930) gemäß dem Waffenstillstand von Compiègne (1918) und dem Versailler Vertrag (1920)


  • Ruhrbesetzung durch belgische und französische Truppen als Sanktion wegen deutschen Zahlungsrückständen in der Reparationsfrage (1923–1925)[7]

  • Besetzung von zahlreichen Staaten Europas durch die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs, darunter Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Jugoslawien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Polen und Teile der Sowjetunion


  • Alliierte Besetzung Deutschlands und Österreichs, die in jeweils vier Besatzungszonen aufgeteilt wurden, nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Militärregierungen der Besatzungsmächte Sowjetunion, Vereinigte Staaten, Großbritannien und Frankreich erklärten ab 1946, es handle sich um eine occupatio sui generis, auf die die Beschränkungen des Kriegsvölkerrechts keine Anwendung fänden.[8] Diese Deutung fand später Eingang in den bundesdeutschen wissenschaftlichen Diskurs.[9]


  • Besetzung Japans durch US-amerikanische Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg (1945–1951). Die Bonin-Inseln und Ryukyu wurden erst 1968 bzw. 1972 geräumt.

  • Besetzung des de facto unabhängigen Tibet durch die chinesische Volksbefreiungsarmee 1950. Mit dem Abkommen zur friedlichen Befreiung Tibets vom 24. Oktober 1951 wurde es als Autonomes Gebiet Tibet in die Volksrepublik China inkorporiert bzw. annektiert. Der völkerrechtliche Status Tibets ist umstritten.[10]


  • Sowjetische Besetzung Afghanistans 1979–1989


  • Besetzung des Irak 2003–2011 durch die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten



Gegenwärtige Besetzungen |




  • Westjordanland 1948 während des Palästinakrieges von Jordanien besetzt, 1950 annektiert. 1967 von Israel im Sechstagekrieg besetzt


  • Nordzypern 1974 von der Türkei besetzt, lokale griechischstämmige Bevölkerung größtenteils vertrieben, gehört völkerrechtlich zur Republik Zypern


  • Westsahara 1976 von Marokko und Mauretanien besetzt, das seine Truppen 1979 wieder abzog[11]


  • Afrin – im Zusammenhang des Syrischen Bürgerkrieges 2018 durch eine türkische Militäroffensive besetzt.



Siehe auch |



  • Fremdherrschaft

  • Penetriertes System



Weblinks |



 Wiktionary: Okkupation – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen


Anmerkungen |




  1. Marten Breuer: Gebietserwerb, staatlicher. In: Burkhard Schöbener (Hrsg.), Völkerrecht. Lexikon zentraler Begriffe und Themen, C.F. Müller, Heidelberg 2014, S. 110.


  2. Andrea Weindl: Inter Caetera, mare liberum und terra nullius – das europäische Völkerrecht und die außereuropäische Welt. In: Inken Schmidt-Voges, Siegrid Westphal, Volker Arnke und Tobias Bartke (Hrsg.): Pax perpetua. Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit. Oldenbourg, München 2010, ISBN 978-3-486-71928-4, S.354–360 und 375–381 (abgerufen über De Gruyter Online).


  3. Michael Bothe: Friedenssicherung und Kriegsrecht. In: Wolfgang Graf Vitzthum und Alexander Proelß (Hrsg.): Völkerrecht. 7. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin 2016, ISBN 978-3-11-044130-7, S. 855 f., Rn. 82 (abgerufen über De Gruyter Online).


  4. Josef Matuz: Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte. WBG, Darmstadt 2006, S. 239 f. und 252.


  5. Raymond Poidevin und Jacques Bariéty: Frankreich und Deutschland. Die Geschichte ihrer Beziehungen 1815–1975. C.H. Beck, München 1982, S. 120 und 128.


  6. Alan McPherson: A Short History of U.S. Interventions in Latin America and the Caribbean. John Wiley & Sons, Chichester 2016, S. 63–68 und 106.


  7. Peter Krüger: Die Außenpolitik der Republik von Weimar. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1985, S. 199–206.


  8. Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Historische Betrachtungen zur Entstehung und Durchsetzung der Theorie vom Fortbestand des Deutschen Reiches als Staat nach 1945. In: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 7 (1985), S. 185.


  9. Georg Dahm, Jost Delbrück, Rüdiger Wolfrum: Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl., Berlin 1989, S. 225 mit weiteren Nachweisen; Theo Stammen, Gerold Maier: Das Alliierte Besatzungsregime in Deutschland. In: Josef Becker, Theo Stammen, Peter Waldmann (Hrsg.): Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Kapitulation und Grundgesetz. UTB/W. Funk, München 1979, S. 61 f.


  10. Oliver Dörr: Die Inkorporation als Tatbestand der Staatensukzession. Duncker & Humblot, Berlin 1995, S. 363–369; Marcus Hölzl: Tibet – vom Imperium zur chinesischen Kolonie: Eine historische und gesellschaftstheoretische Analyse. Peter Lang, Frankfurt am Main 2009, S. 71–84.


  11. Jörg Menzel, Tobias Pierlings, Jeannine Hoffmann (Hrsg.): Völkerrechtsprechung. Ausgewählte Entscheidungen zum Völkerrecht in Retrospektive, Mohr Siebeck, Tübingen 2005, S. 146.









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